Kurze Inhaltsangaben
zu den Aufsätzen in diesem Buch

W. Schajdurow: Die Rußlanddeutschen. Tragödie eines Volkes

Der kurze Abriß der Geschichte der Rußlanddeutschen soll die Auffassung des Autors belegen, daß diese bereits seit über hundert Jahren in latentem Konflikt mit dem Staat leben. Dargestellt wird der permanente Druck der Staatsführung auf die Deutschen an den Reformen Alexanders II. und der von ihnen ausgelösten Emigrationswelle, an den tragischen Ereignissen von 1914 und an der nach 1917 einsetzenden Sowjetisierung der deutschen Bevölkerung durch die Gründung von nationalen Verwaltungseinheiten. Eine Lagebeschreibung deutscher Dörfer vor der Kollektivierung wird durch Zahlen ergänzt, die den hohen ökonomischen Entwicklungsstand wie auch den nachfolgenden wirtschaftlichen Einbruch widerspiegeln. Die dreißiger Jahre bedeuteten neue Repressionen. Der Aufsatz mündet in eine Untersuchung der gegenwärtigen Lage, speziell der aktuellen Polemik über die Bildung deutscher nationaler Rayons (Landkreise).

A. German: Repressionen als integraler Bestandteil der Rußlanddeutschen-Politik des politischen Regimes

Viele Jahrzehnte konnten die Rußlanddeutschen ihre Eigenart, zu der tiefe Religiosität, Diszipliniertheit, außergewöhnliche Arbeitsamkeit und Ordnungsliebe gehören, bewahren. Mit diesen Charakerzügen mußten sie unweigerlich in Konflikt mit dem politischen Regime geraten. Doch wie die anderen Völker Rußlands glaubten auch die Deutschen an die Chance realer Autonomie. Der Aufsatz zeichnet detailliert nach, welche Wendung für sie die Autonomie sowjetischer Provenienz nahm. Dabei werden die Repressionen in den allgemeinen Zusammenhang der Nationalitätenpolitik des Sowjetstaats gestellt.

Für die Haltung der Sowjetmacht gegenüber der deutschen Bevölkerungsgruppe waren nach Auffassung des Autors neben der allgemeinen Repressionspolitik des Regimes auch die Anpassungsschwierigkeiten der Deutschen an das politische Regime und die Beziehungen zwischen der UdSSR und Deutschland verantwortlich. Letzere veranlaßten die sowjetische Führung zur “unangemessenen Rückversicherungspolitik” der Verschleppung der Rußlanddeutschen, ihrer Konzentration in Sonderansiedlungen und Einziehung zur Zwangsarbeit.

D. Brandes: Resistenz, Abwehr und Widerstand der Rußlanddeutschen 1917 – 1941

Thema des Aufsatzes ist die Reaktion der Rußlanddeutschen auf den Druck seitens der sowjetischen Führung, wobei der Autor auch mit Begriffen wie “Resistenz” und “Abwehr” arbeitet. Er behauptet einen hartnäckigen und ungebrochenen Widerstand gegen die Ideologie der Bolschewiki und besonders gegen die Verfolgung aus religösen Gründen. Ausführlich wird der Widerstand der mennonitischen Gemeinden dargestellt. Entschlossen war auch der Widerstand gegen die Kollektivierung und Entkulakisierung. Hier gab es Beispiele solidarischen Eintretens ganzer Gemeinschaften für einzelne Mitglieder. Ablehnend reagierten viele Deutsche auf die Einrichtung nationaler Verwaltungseinheiten und waren eher bereit, eine Unterscheidung nach ethnisch-religösen Gesichtspunkten zu akzeptieren.

N. Ochotin, A. Roginskij: Zur Geschichte der “deutschen Operation” des NKWD 1937/38

Die Autoren ordnen die Repressionen gegen die Rußlanddeutschen in den Jahren 1937 und 1938 in das Schema des “Großen Terrors” und anderer Operationen im Rahmen der sowjetischen Nationalitätenpolitik ein. Bei der Chronologie der Ereignisse und der Rekonstruktion der Entscheidungswege wurde Vollständigkeit zumindest angestrebt.

Das Modell für die Verhaftungen der Deutschen sehen die Autoren im NKWD-Befehl 00485, der ethnische Polen und polnische Staatsbürger betraf. Die Besonderheit der “deutschen Operation”, die hier analysiert wird, ergab sich vor allem aus der Größenordnung der deutschen Bevölkerungsgruppe in der UdSSR sowie aus der Tatsache, daß sie über ein eigenes Staatsgebilde verfügte. Eine weitere Rolle spielten außenpolitische Aspekte.

Ausschlaggebend bei der Anwendung von Repressionen aus Gründen der Nationalität waren nach Auffassung der Autoren neben der Volkszugehörigkeit die Zugehörigkeit zu bestimmten Personenkategorien, die in verschiedenen NKWD-Befehlen erfaßt wurden, und die Beschäftigung in spezifischen Arbeitsbereichen. Außerdem spielten die soziale Zuordnung und der Wohnort eine Rolle.

Eine sorgfältige vergleichende Analyse statistischer Daten vermittelt eine Vorstellung vom Ausmaß der Verhaftungen und der Art der Verurteilungen.

W. Chaustow: Repressionen gegen die Rußlanddeutschen bis zum Beginn der Massenverhaftungen von 1937

Der Artikel behandelt im Detail sowohl Einzelfälle von Repressionen gegen Rußlanddeutsche, politische Emigranten aus Deutschland und deutsche Staatsbürger als auch die allgemeine Richtung der Repressionspolitik in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre.

Eindringlich stellt er dar, wie die Deutschen in wachsendem Maß mit der Furcht vor Spionen, mit Verdächtigungen und, nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland, mit hochgespielten Anschuldigungen, faschistische Propaganda zu betreiben, konfrontiert wurden. Ab 1935 nahmen auch die Verhaftungen unter den politischen Emigranten zu. Dennoch kommt der Autor zu dem Schluß, daß sich die Repressionen zwischen 1932 und 1936, also vor Beginn der Massenverhaftungen des Großen Terrors", nicht speziell gegen die Deutschen richteten, sondern vorrangig politische oder soziale Gründe geltend machten.

N. Bugaj: Das autonome Staatsgebiet der Wolgadeutschen. Probleme der zerstörten Struktur und der Neuaneignung des Territoriums

Der Autor beschäftigt sich mit den Ursachen der Auflösung der Autonomen Sozalistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen sowie der Deportation ihrer Bürger und analysiert den Prozeß der Aufhebung der Eigenstaatlichkeit der Deutschen im Detail. Er betont, daß gesonderte Untersuchungen zu diesem Thema bisher fehlen.

Die Auflösung der staatlichen Verfaßtheit des Gebiets der Rußlanddeutschen zog dessen ökonomischen Zusammenbruch nach sich. Es mußte neu besiedelt wie auch neu erschlossen werden. Gestützt auf Archivmaterialien der Hauptverwaltungen für Umsiedlungsfragen stellt N. Bugaj die unwiderrufliche Zerstörung der ökonomischen Infrastruktur des Gebiets der ehemaligen Autonomen Republik dar und zeigt die großen Probleme seiner Neubesiedlung. Der Aufsatz enthält viele Dokumente, die seine Schlußfolgerungen illustrieren.

V. Bruhl: Vertriebene Völker in Sibirien 1935 – 1965. Vergleichende Analyse des Schicksals von Polen, Kalmücken, Litauern, Esten, Letten und Rußlanddeutschen

Der Autor stellt die Vertreibungsgeschichte der Rußlanddeutschen in den größeren Zusammenhang der Deportation anderer Völker der UdSSR. Allerdings verweist er darauf, daß aufgrund der mangelnden Erforschung von Quellen kein umfassendes Bild entstehen kann. Ausgehend von der Auflösung der deutschen nationalen Rayons im Jahr 1935 unterscheidet er verschiedene Etappen der Vertreibung und verschiedene Vertriebenengruppen von unterschiedlicher sozialer Zusammensetzung. Letzteres betrifft vor allem die Deportation aus dem Baltikum, aus Moldawien und der Westukraine. Verglichen werden die unterschiedliche demographische Entwicklung verschiedener vertriebener Bevölkerungsgruppen, ihre unterschiedliche Rechtslage, ihr Verhältnis zu den staatlichen Organen und die Wohn- und Lebensbedingungen. Aufmerksamkeit verdient die Darstellung des Verhältnisses der verschiedenen Vertriebenengruppen zueinander und zur eingesessenen Bevölkerung. Dargestellt werden außerdem die unterschiedlichen Formen, in denen die Rehabilitierung verlief.

T. Tschebykina: Die Vertreibung der deutschen Bevölkerungsgruppe aus der europäischen UdSSR nach Westsibierien 1941 – 1945

Der Aufsatz beschreibt detailliert, wie die Umsiedlung der Wolgadeutschen nach Westsibirien durchgeführt wurde. Er nennt die Instruktionen, charakterisiert das Handeln der Staatsorgane, führt an, wer die Listen zusammenstellte und an wen der Besitz ging, beschreibt die Ansiedlungsbedingungen der sogenannten Sonderumsiedler in den verschiedenen Regionen Westsibiriens und charakterisiert die Haltung der Deutschen zu ihrer Deportation. Von besonderem Interesse ist die Darstellung der Organisierung der sogenannten Arbeitsarmee und der extrem harten Lebensumstände ihrer Angehörigen. Weitere Themen sind die Siedlungsgebiete der Sonderumsiedler unter geographischen Gesichtspunkten sowie deren erneute Vertreibung im März 1942 aus dem Nowosibirsker Gebiet in den Landkreis von Narym.

G. Malamud: Die sowjetdeutschen “Arbeitsarmisten” im Ural 1942 – 1948

Der Aufsatz thematisiert eine der härtesten Seiten der Deportationsgeschichte der Rußlanddeutschen, die Umsetzung der Entschließung des Staatskomitees für Verteidigung von 1942, die die Erfassung aller Deutschen zwischen 15 und 55 Jahren in Arbeitskolonnen verfügte. Dargestellt werden die Lebensbedingungen der vom NKWD eingezogenen “Arbeitsarmisten” im Ural in den Gebieten Swerdlowsk, Tscheljabinsk und Molotow (heute Perm) in Untergliederungen der NKWD-Lager.

Diese Bedingungen unterschieden sich nicht im geringsten von denen der Straflager. Die Arbeit wurde faktisch nicht bezahlt; den wesentlichen Arbeitsanreiz bildete das sogenannte kotlowka-System, das die Essensration an den Grad der Erfüllung der Arbeitsnorm band.

Zum Alltag der Arbeitsarmisten gehörten Durchfall, hohe Sterblichkeit, katastrophale Lebensumstände, nicht selten die Unterbringung in Erdhütten, ständige Überwachung durch den KGB und Verhaftungen. Statistische Angaben über den Einsatz der Deutschen in der Industrie des Uralgebiets untermauern die Schlußfolgerungen des Autors. Herausgearbeitet wird die ambivalente Situation der dienstverpflichteten Deutschen. Obwohl sie sich in nichts von der von Strafgefangenen unterschied, waren die Arbeitsarmisten der sowjetischen Propagandarhetorik im Stil der frühen dreißiger Jahre unterworfen; diese appellierte an ihren Enthusiasmus und stachelte zu ständig höheren Arbeitsleistungen an.

W. Kirillow: Rußlanddeutsche im Tagillag

Thema ist die Geschichte der deutschen Arbeitsarmisten im NKWD-Lager von Nishnij Tagil. Unter ihnen befanden sich bemerkenswert viele Wehrpflichtige der Roten Armee, die von der Front in den Ural abkommandiert worden waren. Etwa 15.000 Deutsche wurden durch diesen größten Lagerkomplex der Region geschleust. Der Autor beschreibt den Charakter der Arbeit und die Lebensbedingungen der Arbeitsarmisten und vergleicht Tagillag mit anderen Lagern des Swerdlowsker Gebiets.

T. Plochotnjuk: Die deutsche Bevölkerungsgruppe des Nordkaukasus unter dem totalitären System in den zwanziger und dreißiger Jahren

Anhand verschiedenster Dokumente aus den Archivzentren für Zeitgeschichte in Moskau und Stawropol sowie dem Staatsarchiv der Rußländischen Föderation zeichnet die Autorin das Schicksal der deutschen Siedlungen im Nordkaukasus bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs nach. Untersucht werden die Auswirkungen der Politik der zentralen wie der regionalen Parteiführungen auf die Lage der deutschen Bevölkerung. Als beste Zeit erwiesen sich hier die Jahre 1925-1927 mit der Gründung des später wieder aufgelösten deutschen nationalen Rayons. Doch die einsetzende Kollektivierung und der Hunger trafen auch die Deutschen im Nordkaukasus schwer. Schrittweise wurden die Möglichkeiten, Hungerhilfe aus Deutschland zu beziehen, beschnitten. Weitere Themen der Untersuchung sind die antideutsche Kampagne, die sich kontinuierlich intensivierte und jegliche Betonung deutscher Eigenart als deutschen Chauvinismus hinstellte, sowie die Ereignisse während der Massenrepressionen, als die Führung die deutsche Bevölkerung zunehmend als potentiellen Feind und berüchtigte “fünfte Kolonne” einstufte.

L. Belkowez: Die Sonderansiedlung der Deutschen in Westsibieren (1941 – 1955)

Der Aufsatz enthält eine detaillierte Analyse des Überwachungssystems in den Sonderansiedlungen der Deutschen in den vierziger Jahren in Sibirien. Die ausführlichen Quellen aus den für die Sonderansiedlung zuständigen Behörden (OSP) stammen aus dem Archiv der Innenbehörde des Nowosibirsker Gebiets und waren bis vor kurzem absolut unzugänglich. Anhand der Dokumente lassen sich Einzelheiten des Überwachungssystems, seiner schrittsweisen Verschärfung und der Arbeitsweise der offiziellen sowie der verdeckt arbeitenden Überwachungsorgane rekonstruieren. Von besonderem Wert sind die sorgfältig kommentierten Materialien zum Meldesystem und zur Bespitzelung der sogenannten Sonderumsiedler, speziell die Beschreibung, wie unter den Deportierten selber ein Netz von Informanten aufgebaut wurde und wie es funkionierte.

L. Burgart: Das Schicksal des Einzelnen und seines Volkes. Die Personalakten der Sonderumsiedler als Quellen zu Deportation und Sonderansiedlung

Unter Verwendung von Archivmaterialien aus Ostkasachstan stellt der Autor die Funktionsweise des totalen Überwachungssystems über die Sonderumsiedler in den Jahren der Deportationen dar. In ihren Siedlungen wurden Sonderkommandanturen eingerichtet und für jede Person eine Personalakte geführt. In einer ausführlichen Analyse wird der Charakter dieser Personalakten herausgearbeitet, werden die in ihnen enthaltenen Dokumente auf ihrer Aussagekraft und mögliche Erkenntnisse hin diskutiert. Vermittelt durch die Schicksale der Einzelnen in den Fängen der bürokratischen Maschinerie entsteht ein hinreichend klares Bild von deren Funktionsweise.

T. Saburowa: Rußlanddeutsche in Nordrußland

T. Saburowa arbeitet mit Strafverfolgungsakten repressierter Deutscher aus dem Archiv des Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB) für das Gebiet Archangelsk. Die deutsche Bevölkerungsgruppe war in drei verschiedenen Strömen in dieses Gebiet gekommen. Die ersten waren deutsche Bauern aus dem Wolgagbiet, der Südukraine und der Krim, Opfer der Entkulakisierungskampagne. 1941 wurden, wenn auch nicht sehr zahlreich, Deutsche aus dem Wolgagebiet hierher verschleppt. Nach 1945 wurden aus Deutschland zurückkehrende Rußlanddeutsche hier angesiedelt.

Aus den Strafverfolgungakten geht hervor, daß es in den dreißiger und vierziger Jahren eine große Zahl von Verhaftungen unter den Deutschen im Gebiet Archangelsk gab. Der Aufsatz berichtet von tragischen Einzelschicksalen und macht statistische Angaben zu Verhaftungen, Verurteilungen und zu Todesurteilen.

Je. Ejchelberg: Die religiös motivierte Verfolgung der Deutschen im Gebiet Tjumen

Eine der wesentlichen Spielarten der fortgesetzten Repressionspolitik gegen die Deutschen ist nach Meinung des Autors die Verfolgung aus religiösen Gründen von den vierziger bis in die sechziger Jahre. Sie war weniger brutal als im vorangehenden Jahrzehnt, erfaßte jedoch konsequent jene Deutschen, die ihre religiöse Identität bewahren wollten und in ihren Gemeinden aktiv waren. An konkreten Schicksalen beleuchtet der Autor den Kampf gegen Mennoniten und Baptisten. Für die Deutschen beinhaltete ihr religiöses Engagement ganz offensichtlich sowohl ein Form des Widerstands als auch der Bewahrung ihrer Kultur, ungeachtet aller Versuche zwangsweiser Assimilierung. Die angeführten Archivmaterialien belegen die ständige Bespitzelung, die Verhaftungen und Prozesse, die von staatlichen Einrichtungen und dem KGB in Gang gesetzt wurden. All dies führte nach Meinung des Autors dazu, daß viele Deutsche und besonders die Angehörigen der jüngeren Generation sich von der Religion lossagten und auf diese Weise ihre Wurzeln und ihren ethisch-moralischen Halt verloren.

O. Linzenberger: Repressionen gegen lutherische und katholische Geistliche in der UdSSR

Dargestellt werden die Repressionsmaßnahmen gegen die katholische und die lutherische Geistlichkeit in den ersten zwanzig Jahren der Sowjetmacht. Die Autorin kommt zu dem Schluß, daß diese Maßnahmen nicht speziell auf die deutschen Glaubensrichtungen abzielten, sondern Teil der allgemeinen antireligiösen Politk der bolschewistischen Regierung waren. Unmittelbar nach ihrem Machtantritt griffen die Bolschewiki in erster Linie die orthodoxe Kirche an, doch schon ab Mitte 1918 unternahmen sie Schritte auch gegen deutsche Geistliche.

Der materialreiche Aufsatz dokumentiert die Verfolgung von Geistlichen zwischen 1918 und dem Ende der dreißiger Jahre; er stellt einzelne tragische Schicksale vor und berichtet über Gerichtsprozesse gegen Geistliche sowie über deren Situation in den Lagern.

N. Smolnikowa: Repressionen mit nationalem Hintergrund und ihre Bedeutung für die derzeitigen ethnopolitischen Probleme der Wolgadeutschen

Der Aufsatz enthält eine ernstzunehmende Analyse aktueller Probleme der neuen deutschen Diaspora an der Wolga als Folge der Repressionspolitik der sowjetischen Führung. Mit der Rekonstruktion der historischen Ereignisse wird zugleich deren Einfluß auf die Nationalkultur, die Bewahrung der Sprache und das ethnische Selbstverständnis der Wolgadeutschen in den Blick genommen.

Außer auf statistische Angaben, die eine Vorstellung von den Migrationsprozessen innerhalb der deutschen Bevölkerungsgruppe vermitteln, stützt sich der Aufsatz auf Ergebnisse ethnologischer Feldforschung, auf von der Autorin selber durchgeführten Befragungen und auf schriftliche Quellen. Durch die Untersuchung der Geschichte der neuen deutschen Diaspora an der Wolga kommt die Autorin zur Überzeugung vom langanhaltenden Nachwirken der Repressionspolitik mit bestimmenden Folgen für das nationale Schicksal späterer Generationen.

T. Illarionowa: Rehabilitierung, ein schwieriger Weg aus einer ausweglosen Situation. Das Problem der Rußlanddeutschen in den sowjetisch-deutschen Verhandlungen 1957/58

In der sowjetisch-deutschen Geschichte sind die Verhandlungen von 1957/58 zur Normalisierung der Beziehungen zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik Deutschland ein wenig bekanntes Kapitel. Der Aufsatz schildert die politischen Wechselfälle im Verlauf dieser Verhandlungen. Die deutsche Seite nutzte das Interesse der sowjetischen Seite an regulären Wirtschaftsbeziehungen, um die Frage einer möglichen Rückführung und Umsiedlung ehemaliger deutscher Staatsbürger und ethnischer Deutscher in die Bundesrepublik auf die Tagesordnung zu setzen. Nach Meinung der Autorin hätte es eine Chance gegeben, das Problem der Rehabilitierung der Sowjetdeutschen zu lösen, doch wurde sie nicht genutzt. Denn eine Lösung lag für die deutsche Seite ausschließlich darin, den Deutschen das Verlassen der Sowjetunion zu ermöglichen, während die sowjetische Seite dies nicht akzeptieren konnte. Das führte letztlich dazu, daß die Rußlanddeutschen nie mehr dorthin zurückkehrten, von wo sie verschleppt worden waren, und keine Eigenstaatlichkeit mehr erlangten.

A. Papowjan, E. Papowjan: “Vorbeugende Maßnahmen ergreifen, aufklären...” Der KGB und das Problem der deutschen Emigration im Jahr 1957

Anhand von Dokumenten der Generalstaatsanwaltschaft der UdSSR aus dem Staatsarchiv der Rußländischen Föderation zu einer Spezialfrage wird die Situation des Jahres 1957 beleuchtet. Es handelt sich um einen Schriftwechsel zwischen dem KGB und Einrichtungen der Staatsanwaltschaft, in dem es um Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit geht, die nach Deutschland ausreisen möchten. Der gesamte Schriftwechsel trägt den Stempel des beginnenden “Tauwetters”; die Strafverfolgungsorgane sind bereits unsicher und entscheidungsunfähig und beschließen am Ende, von der Verhaftung von Personen, die für das Recht auf Ausreise eintreten, abzusehen.

T. Tschernowa: Das Problem der politischen Repressionen gegen die deutsche Bevölkerungsgruppe in der UdSSR. Übersicht über die sowjetische und russische Geschichtsschreibung.

Ausführlich werden die Publikationen der letzten zehn Jahre zu den Sowjetdeutschen vorgestellt, und zwar mit dem Hinweis auf die besonderen Schwierigkeiten, mit denen das bis dahin verbotene Thema den Forscher konfrontierte.

Die Geschehnisse waren zu rekonstruieren, zu analysieren, zu bewerten, die Erkenntnisse daraus mußten theoretisch verarbeitet werden. Die Autorin zeichnet zwei Etappen der Annäherung an das Thema. Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre ergoß sich eine Flut häufig publizistischer Arbeiten, denen es vor allem darum ging, die Öffentlichkeit auf das Problem der Rußlanddeutschen aufmerksamzu machen und Forschungen anzuregen. In dieser Zeit wurde zunehmend in Archiven gearbeitet und Faktenmaterial zusammengetragen. Ab Mitte der neunziger Jahre gewinnt die Forschung an Tiefe und bemüht sich um theoretische Schlußfolgerungen und Verallgemeinerungen.

Die Übersicht verzeichnet Arbeiten zu Einzelthemen wie Entkulakisierung, Verschleppung und Arbeitsarmee. Darüber hinaus diskutiert die Autorin die Frage, ob es berechtigt ist, für die Repressionen gegen die Rußlanddeutschen den von einigen Autoren benutzten Begriff Genozid anzuwenden.

                                   Aus dem Russischen von Hartmute Trepper, Bremen